Urteil: Das schwebende Wohnzimmer genießt Motivschutz nach dem UrhG

Dass Fotografien und Grafiken nicht ohne Zustimmung der Urheber*innen übernommen werden dürften, sollte sich herumgesprochen haben. Doch was ist, wenn ein visuelles Werk nachgestellt wird?

Das Oberlandesgericht München hat in einem von uns geführten Berufungsverfahren (29 U 256/22) die Entscheidung des Landgericht München I (42 O 5148/20) teilweise aufgehoben und unserem Mandanten Schutz für das Motiv

zugesprochen.

Es handelt sich hierbei um ein Rendering einer schwebenden Wohnzimmerlandschaft, welches im Jahr 2015 am Computer erstellt wurde.

Hervorzuheben ist die Kombination verschiedener (bereits vorbestehender) 3D-Modelle von Einrichtungsgegenständen mit dem Umfärben und der elektronischen Bearbeitung und dem neu Anordnen der einzelnen Elemente, mit der der Effekt des Schwebens erst erreicht werden konnte.

Auch das abgebildete Sofa wurde manuell am Rechner auseinandergenommen und neu angeordnet, um eine dem Schweben Rechnung tragende Positionierung der Kissen zu erreichen.

Nachdem das Landgericht München I die Klage abgewiesen hatte, teilt nun das Oberlandesgericht München unsere Ansicht, dass dieses Motiv ein urheberrechtlich geschütztes Werk darstellt und daher nicht nachgebildet werden darf.

Die Widerklage des Beklagten, die sich auf Werke unseres Mandanten bezog, die Fotografien und Grafiken des Beklagten ähnlichsehen sollten, wurde hingegen abgewiesen.

Die Entscheidung befasst sich erstmals seit Jahren mit dem Motivschutz von Fotografien und Grafiken und dürfte gerade für den Stockfoto-Markt erhebliche Auswirkungen haben.

 

Was ist der Motivschutz?

Motivschutz bedeutet, dass nicht nur die Bilddatei gegen eine identische Übernahme geschützt wird, sondern das wiedergegebene Motiv für sich betrachtet schon eine ausreichende künstlerische Leistung darstellt und daher auch das Nachstellen des Motives eine Rechtsverletzung darstellt.

Fälle, in denen Urheber mit derartigen Nachstellungen zu kämpfen haben, sind durchaus häufig in der Praxis anzutreffen. Die Entscheidung aus München macht deutlich, dass es sich hierbei mitnichten um ein Kavaliersdelikt, sondern um eine Urheberrechtsverletzung handelt.

Fest steht, dass auch Grafiken, die aus bereits bestehenden Elementen kreiert wurden, unter Umständen schutzfähige Werke nach dem UrhG sind und bestehende Bilder nicht einfach nachgestellt werden dürften.

 

Einordnung eines Renderings in die geschützten Werke nach § 2 UrhG

 

„Bei dem klägerischen Rendering eines schwebenden Wohnzimmers handelt es sich um ein urheberrechtlich geschütztes Werk im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4, Nr. 5, Abs. 2 UrhG.

Im Hinblick auf Lichtbildwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Lichtbildwerke geschaffen werden, gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG ist zwar umstritten, ob es sich dabei auch um auf dem Bildschirm mit Hilfe von Computern entstehende Bilder, die ähnlich wie Lichtbilder geschaffen sind, handeln kann.

(…)

Ob und inwieweit das Rendering des fliegenden Wohnzimmers im Rahmen der Gesamtbearbeitung auf entsprechend vorgefertigte Aufnahmen zurückgeht bzw. inwieweit die Einzelteile nicht in der  Abbildung von etwas in der Natur Vorgegebenen beruhen, weil auch sie rein digital generiert sind, bzw. welche Anteile welche Elemente am Gesamtrendering haben, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden. Wie die Formulierung „insbesondere“ in § 2 Abs. 1 UrhG zeigt, ist eine eindeutige und vollständige Zuordnung eines Werks zum Katalog der Ziffern 1. bis 7. weder stets möglich noch zwingend für einen Schutz erforderlich.

Auch soweit man der Auffassung folgt, die Abbildung von etwas natürlich Vorgegebenen sei Schutzvoraussetzung, kommt ein Schutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG in Betracht, da zu den Werken der bildenden Kunst auch solche der Grafik zählen und es nur auf die optische Wahrnehmungsmöglichkeit, nicht jedoch auf die Frage des Materials oder der Technizität ankommt (vgl. BeckOK UrhR/Rauer, a.a.O., Rn. 33 a.E., 22-24). Dementsprechend ist auch eine computergenerierte Grafik wie ein Rendering, soweit es rein digital am Rechner erzeugt wurde, im Ergebnis aber optisch wahrnehmbar ist, jedenfalls unter die Norm des § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG zu fassen.

Das streitgegenständliche Rendering mit dem schwebenden Wohnzimmer stellt auch eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG dar, das es die notwendige Schöpfungshöhe aufweist.

(…)

Dabei ist es gleichgültig, ob das Werk neben seinem ästhetischen Zweck noch einem praktischen Gebrauchszweck dient. Der ästhetische Gehalt des Werkes muss lediglich einen solchen Grad erreichen, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer künstlerischen Leistung gesprochen werden kann. Auf den höheren oder geringeren Kunstwert kommt es nicht an (vgl. RGZ 124, 68, 71 ff.; BGH GRUR 1972, 38, 39 – Vasenleuchter; GRUR 1981, 517, 519 – Rollhocker; GRUR 1988, 690, 692 – Kristallfiguren). (2)

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann im Hinblick auf den unschädlichen Gebrauchszweck und die unmaßgebliche Frage des Grades des künstlerischen Werts angenommen werden, dass vorliegend aus Sicht der maßgeblichen Kreise nicht nur von einer rein handwerklichen Leistung, sondern von einer künstlerischen Leistung gesprochen werden kann, weil die Auswahlentscheidung bei der Platzierung der einzelnen Bildelemente – die nach Aussage des Zeugen S. manuell erfolgt ist – einer beabsichtigten hervorzurufenden ästhetischen Wirkung folgt, die ganz offenkundig darin bestehen soll, den Eindruck zu erwecken, dass die Einzelelemente gerade infolge eines Impulses, wie eines abgesackten Bodens oder eines annährend mittigen aber unsichtbaren Schlages von unten, abgehoben sind und nunmehr entsprechend ihren individuellen Flugeigenschaften im Raum schweben, wobei die Anordnung und unterschiedliche zu erwartende Flugbahn der Gegenstände gleichzeitig eine seitwärts wellenförmige Gestaltung des Gesamtbildes erzeugt und dieser Eindruck durch den Hell-Dunkel-Kontrast der Gegenstände zum blauen Hintergrund und den der Wellenbewegung angepassten Schattenwurf am Boden verstärkt wird.“

 

Nachstellung des Motives stellt eine Vervielfältigung nach § 16 UrhG dar

 

„Eine Verletzung des Urheberrechts gemäß § 97 Abs. 1 UrhG liegt nicht nur bei einer identischen widerrechtlichen Nachbildung eines Werks vor. Aus der Bestimmung des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG, nach der Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werks nur mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden dürfen, ergibt sich, dass sich der Schutzbereich der Verwertungsrechte gemäß § 15 UrhG – bis zu einer gewissen Grenze – auch auf vom Original abweichende Gestaltungen erstreckt (BGH GRUR 2023, 571 Rn. 27 – Vitrinenleuchte; GRUR 2022, 899 Rn. 55 – Porsche 911).

(…)

Nach dem oben Gesagten sind als die objektiven Merkmale, die die schöpferische Eigentümlichkeit des benutzten Werks bestimmen, die den Eindruck erweckende Platzierung der Elemente, dass diese durch eine impulsartige Einwirkung von unten abgehoben sind, die durch die Elemente bestimmte seitwärts wellenförmige Gestaltung des Gesamtbildes sowie deren Verstärkung durch den Kontrast und den Schattenwurf anzusehen. Bei einem Vergleich des Gesamteindrucks der beiden Gestaltungen zeigt sich, dass dieser auch im Rendering des Beklagten durch ebendiese Elemente, das impulsbedingte Abheben, die Wellenform, den Hintergrundkontrast und – in etwas geringerem Maße – durch den Schattenwurf bestimmt werden. Gerade die wellenförmige Ausrichtung der Einzelelemente mit ihren einzelnen Drehrichtungen und Neigungswinkeln ist praktisch identisch zum klägerischen Rendering und erzeugt in gleicher Weise den Eindruck eines kurz nach dem Abheben der Dinge erfolgten Schnappschusses, wobei auch der Kontrast der größtenteils hellen Elemente vor einem ähnlichen Blauton im Hintergrund die Wirkung verstärkt. Die Unterschiede der Gestaltungen, die vor allem durch einen dunkleren Boden mit stärkerer Zeichnung der Bohlen sowie den sich stärker auf der Wand als auf dem Boden abzeichnenden Schattenwurf bestimmt werden, prägen den Gesamteindruck beim Rendering der Beklagten dagegen nicht so nachdrücklich, dass die sich aufdrängenden und ins Auge stechenden Übereinstimmungen in ihrer Gesamtwirkung verblassen würden.“

 

Widerklage abgewiesen

Auch der Beklagte hatte versucht, sich gegen die Nutzung von Motiven zu wehren, die seiner Ansicht nach mit Fotografien und Renderings aus seinem Portfolio vergleichbar wären. Hier hat das Gericht eine klare Grenze gezogen und die darauf basierende Widerklage mangels Urheberrechtsverletzung in allen Fällen zurückgewiesen.

 

Renderings von im Schriftverkehr üblichen Zeichen in einer üblichen Schrifttype kein Werk im Sinne des UrhG

 

Bezüglich der Renderings des Beklagten, die ein Fragezeichen (…) bzw. ein At-Zeichen („Klammeraffe“), einen Briefumschlag und einen Telefonhörer (…) jeweils vor einem gelben Hintergrund mit Schattenwurf und leicht spiegelndem Boden zeigen, ist dem Landgericht darin zu folgen, dass diese nicht die nötige Gestaltungshöhe im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG aufweisen und daher keinen Werkschutz im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 oder Nr. 5 UrhG genießen. Es handelt sich jeweils um im Schriftverkehr übliche Zeichen in einer üblichen Schrifttype, die im weitesten Sinne mit Kommunikation zu tun haben, wofür wiederum die Wahl der Farbe Gelb und des konkreten Farbtons wegen der Assoziation zu Postdienstleistungen besonders naheliegend erscheint. Der durch das Anlehnen an einer Wand, den Schattenwurf und die Spiegelung auf dem Boden entstehende räumliche Eindruck ist ebenfalls im Bereich von Logos und in der Werbegrafik hinlänglich geläufig und hebt die beiden Gestaltungen nicht vom Alltäglichen und handwerklich Üblichen ab.“

Lichtbildschutz nach § 72 UrhG kann dahinstehen, da keine identische Übernahme

 

„Aus der Beschränkung des Lichtbildschutzes auf die konkrete Aufnahme ergibt sich, dass sich das Leistungsschutzrecht bei gegenstandsgetreuen Abbildungen weder auf das gewählte Motiv als solches noch auf seine Charakteristika bezieht. Es steht Dritten damit grundsätzlich frei, das gleiche vorgegebene Motiv vom selben Standort und unter denselben Lichtverhältnissen noch einmal aufzunehmen; § 72 gewährt keinen Motivschutz (…).

 

Keine Rechtsverletzung durch Fotografien, die in der Messe Köln aufgenommen wurden

 

„Im Hinblick auf die drei in der Messe Köln aufgenommenen Fotos des Beklagten fehlt es ebenfalls an einer Rechtsverletzung

aa) Zwar handelt es sich bei den drei streitgegenständlichen Fotos des Beklagten aufgrund hinreichender Schöpfungshöhe nach § 2 Abs. 2 UrhG um Lichtbildwerke im Sine von § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG.

Geprägt werden die drei Fotos des Beklagten allerdings auch durch die Wahl des konkreten Aufnahmestandortes in den Räumen der Messe Köln und die Wahl der zu einem Verwischeffekt bei den Personen führenden Belichtungszeit. Die Gestaltung der Aufnahmen wird durch die architektonischen Gegebenheiten der abgebildeten Messehallen mit ihrer lichten und fast weißen Gestaltung sowie durch den Zufall deutlich beeinflusst, der mitbestimmt hat, welche konkreten Personen mit welchem Aussehen und welcher Bekleidung in welcher Geschwindigkeit und mit welchem resultierenden Verwischeffekt jeweils ins bzw. im Bild laufen.

bb) Die drei angegriffenen Bilder des Klägers haben nicht durch Vervielfältigung im Sinne von § 16 Abs. 1 UrhG in den Schutzbereich des jeweiligen Werks des Beklagten eingegriffen.“

Fazit und Auswirkungen auf die Praxis

Mit dem vorliegenden Urteil haben wir seit vielen Jahren die erste Entscheidung, die sich detailliert mit dem Motivschutz von Fotografien und Renderings befasst.

Die Frage, ob Motive nun in visuellen Medien nachgestellt werden dürften, hängt nach Ansicht des OLG München von vielerlei Faktoren ab, die im Einzelfall geprüft werden müssen.

Ob eine Urheberrechtsverletzung vorliegt, bestimmt sich maßgeblich danach, ob die den Gesamteindruck prägenden Gestaltungselemente auch in dem Werk vorgefunden werden, welches auf die Eigenschaft als Plagiat geprüft werden soll. Das OLG gibt uns in der Entscheidung detaillierte Parameter, wie dies in der Praxis aussehen kann.

 

Falls Sie sich fragen, ob Sie gegen Plagiate Ihrer Motive vorgehen können, sprechen Sie uns immer gerne an! Die Ersteinschätzung ist stets kostenfrei. Vereinbaren Sie hier direkt einen Termin: